Experten uneins über Pläne zur Wiederherstellung der Natur
Berlin: (hib/SAS) Die Pläne der EU zur Wiederherstellung der Natur sind in einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz am Mittwoch auf ein geteiltes Echo der Sachverständigen gestoßen. Grundlage war ein Antrag der Unionsfraktion zum Vorschlag von Europäischem Parlament und Rat für eine Verordnung über die Wiederherstellung der Natur (20/5559). Während Vertreter von Umwelt- und Naturschutzverbänden das Vorhaben als Fortschritt werteten, kritisierten Vertreter von Kommunen, aus Industrie, Handel und Landwirtschaft die geplanten verbindlichen Wiederherstellungsziele und -verpflichtungen als falsch.
Christine Wilcken vom Deutschen Landkreistag äußerte die Sorge, dass „starre EU-Vorgaben und eine ambitionierte Zeitschiene“ die einzelnen Kommunen überforderten. Ziele wie etwa die Erhöhung des Grünflächenanteils und der städtischen Baumkronen seien in dichtbesiedelten Städten und Kommunen mit sehr engen Stadtgrenzen nicht umzusetzen. Die Ziele müssten auf nationaler Ebene festgelegt und dürften nicht auf die einzelne Kommune heruntergebrochen werden, forderte die Expertin.
Eine Verschärfung von bereits bestehenden Flächenkonflikten durch pauschale Flächenziele befürchtete Sebastian Bolay von der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Schon jetzt hätten Unternehmen große Schwierigkeiten, geeignete Flächen zur Erweiterung zu finden. Die Konkurrenz zwischen der wirtschaftlichen Nutzung durch Industrie und Gewerbe, dem Ausbau erneuerbarer Energien und Infrastruktur sowie Landwirtschaft, Wohnen und Naturschutz sei groß. Solche Konflikte seien nur lokal und regional zu lösen - und nicht durch Vorgaben aus Brüssel, unterstrich Bolay.
Scharf kritisierte auch Florian Hoffmann vom European Trust Institute den EU-Entwurf: Dieser ignoriere pauschal Normen des deutschen Planungsrechts - und damit den Rechtsstaat. Das sei ein „Unding“.
Bernhard Krüsken vom Deutschen Bauernverband warnte vor Gefahren für die Ernährungssicherheit, wenn fast zehn Prozent der bisherigen landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland nicht mehr zur Verfügung ständen. Die zu erwartende Folge sei eine zunehmende Verlagerung der Produktion ins Ausland. Die „Landnahme“ führe außerdem dazu, dass Flächen entwertet würden. Das sei ein Eingriff in Eigentumsrechte.
Max Freiherr von Elverfeldt vom Verein Familienbetriebe Land und Forst kritisierte, dass der Verordnungsentwurf der EU-Kommission die Leistungen des Wirtschaftswaldes komplett ausklammere. Dabei speichere dieser nachweisbar mehr Kohlenstoff als der ungenutzte Wald, so der Sachverständige in seiner Stellungnahme. Als „grundfalsch“ bezeichnete er auch die Wiederherstellung des Waldes mit „heimischen Baumarten“. Es brauche stattdessen den Umbau mit klimaangepassten Arten.
Positiv hingegen bewerteten Vertreter von Umwelt- und Naturschutzverbänden die geplanten Verordnung: Das Artensterben sei die zweite große Krise neben Klimakrise, die EU-Pläne bedeuteten eine „große Chance“ auch hier Fortschritte zu erreichen, betonte André Prescher-Spiridon vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Die von verschiedenen Sachverständigengen geäußerten Bedenken konnte er nicht nachvollziehen: Die Vorschläge ließen den Mitgliedstaaten „viel Spielraum“ bei der Umsetzung. Auch die Ernährungssicherheit sei nicht gefährdet.
Auch Peer Cyriack von der Deutschen Umwelthilfe monierte „zahlreichen Fehlinterpretationen und Zuspitzungen“ des EU-Entwurfs, die sich auch im Unionsantrag wiederfänden. Enteignungen seien nicht vorgesehen und auch nicht möglich, Vorgaben zu Bewirtschaftungsweise geben es nicht. Cyriack verwies darauf, dass rund 80 Prozent der geschützten Lebensräume in der EU in einem schlechten Zustand seien. Angesichts dessen nannte er die vorgeschlagenen Maßnahmen „angemessen“.
Rüdiger Nebelsieck, Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei der Mohr Rechtsanwälte Partnergesellschaft, mahnte, der Ukraine-Krieg und daraus resultierende Krisen erlaubten keinen zeitlichen Aufschub mehr, wie es die Union fordere. Die Fülle von Beschleunigungsgesetzen etwa zum Ausbau der Windenergie gehe zu Lasten der Biodiversität. Deshalb müsse es nun schnell darum gehen, Flächen für den Naturschutz zu sichern.
Zur Eile drängte auch Jörg-Andreas Krüger vom Naturschutzbund Deutschland: Der Verlust der Biodiversität schreite voran, man müsse endlich „mit der Renaturierung ernst machen“, forderte er. Es brauche verbindliche, EU-weite Ziele und Rahmenbedingungen - das nütze auch Branchen im Wettbewerb, so Krüger.
Für verbindliche politische Vorgaben anstatt von freiwilliger Selbstverpflichtungen sprach sich auch die Meeresbiologin Ingrid Kröncke vom Forschungsinstitut Senckenberg am Meer aus. Sie verwies darauf, dass erst gesetzliche Vorgaben zu einer Verbesserung des Zustands der deutschen Nordsee geführt hätten. Die Überdüngung sei in den letzten 30 Jahren zurückgegangen, Algenteppiche gehörten der Vergangenheit an. Das Ökosystem habe sich erholt, Seegraswiesen seien wieder entstanden.
Das Video der Anhörung sowie die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw16-pa-umwelt-wiederherstellung-941610